Neuer Gemeindebrief mit Grußwort von Pastorin Dagmar Rosenberg

veröffentlicht am 15. September 2021

Der neue Gemeindebrief UNS KIRCH für die Monate September, Oktober und November 2021 ist erschienen und wurde bereits verteilt. Weitere Exemplare liegen in der Kirche aus und sind im Gemeindebüro erhältlich. Nachstehend das darin enthaltene Grußwort von Pastorin Dagmar Rosenberg:

Zwischen-Zeit. Zwischenraum. Der Spalt, durch den das Licht einfällt

Die Zeit, in der wir gerade leben, erlebe ich als „Zwischen-Zeit“, als Zeit des Umbruchs. Ich denke, dass wir anders aus der Corona-Pandemie herausgehen werden, als wir hineingegangen sind, mit einem veränderten Lebensgefühl. Wie wird das zukünftige Lebensgefühl sein? Ich weiß es noch nicht. Die letzten anderthalb Jahre haben mir in verschiedener Weise Grenzen aufgezeigt. Meine Kräfte sind begrenzt. Die Möglichkeiten, im Voraus zu planen, sind begrenzt. Die Ressourcen der Erde sind begrenzt. Gleichzeitig erlebe ich Entgrenzungen. Das Corona-Virus überspringt alle Landesgrenzen. Die Pandemie ist eine weltweite Herausforderung. Sie ruft nach globalem, grenzüberschreitendem Handeln, genau wie es der Klimawandel oder die Cyber-Kriminalität tun.

Beides, Grenzen wie Entgrenzungen bereiten mir ein mulmiges Gefühl. Ich frage mich: Wie halte ich es aus, dass ich in dieser Zeit des Umbruchs noch nicht weiß, wohin der Weg geht? Wie kann ich die Ungewissheit ernstnehmen und gleichzeitig handlungsfähig bleiben? Wie kann ich in dieser Situation sinnvolle, verantwortliche Entscheidungen treffen? Ich traue nicht den einfachen, schnellen Antworten.


So versuche ich, die Phase des Umbruchs selbst als eine kreative Entwicklungsphase zu nutzen. Ich fand dazu anregende Gedanken im Schulbuch für den evangelischen Religionsunterricht in Bayern, mit dem ich in München unterrichtet habe. Das Titelthema des Religionsbuches für die 10. Klasse lautet „Zwischenraum“. Als die Autorinnen und Autoren diesen Titel wählten, ahnten sie noch nichts von der Corona-Pandemie. Vielmehr bezogen sie sich auf den Übergang vom Jugendalter zum Erwachsensein. Das Vorwort lässt sich aber ebenso gut mit Blick auf andere Umbruchphasen lesen. Dort heißt es:
„Liebe Schülerinnen und Schüler, und plötzlich wird man mit „Sie“ angesprochen. Manche Lehrkräfte und manche Klassen wehren sich vehement gegen den Abstand, der da auf einmal in der 10. Jahrgangsstufe eingeführt wird. So ist es oft mit Abständen. Denn auf den ersten Blick fühlt es sich viel angenehmer an, wenn etwas sofort verständlich wird,
wenn etwas vertraut ist, wenn das Leben ohne Unterbrechungen weiterläuft und uns nichts trennen kann. Ein Abstand schafft einen Zwischenraum. Und dieser Zwischenraum kann so bedrohlich leer, manchmal schmerzlich sein, dass man ihn am liebsten gleich überspringen oder zukitten möchte. Andererseits spricht auch einiges dafür, Abstände auszuhalten und nicht gleich zu überwinden. Wenn das eine war und das andere noch nicht ist, dann ist das womöglich
eine sehr offene und kreative Zeit dazwischen: Man könnte den Zwischenraum einmal für sich betrachten, seine Möglichkeiten ausloten, sich überlegen, ob und wie man ihn gestalten kann, ohne ihn zu zerstören…“ (Evangelisches Religionsbuch für Gymnasien 10 „Ortswechsel. Zwischenraum“, Claudius Verlag München 2012, aus dem Vorwort, leicht gekürzt).

Zwischenräume und „Zwischen-Zeiten“ können Chancen eröffnen. Rückblickend betrachtet sind mir die Zeiten in meinem Leben, in denen es Umbrüche oder Umwege gab, zu besonders kostbaren Lebensphasen geworden. Auch die Narbe an meinem Ellbogen gehört jetzt zu mir und erzählt eine besondere Geschichte. Mich berührt ein Liedtext des kanadischen Sängers Leonard Cohen (u.a. bekannt durch sein oft gecovertes „Hallelujah“). Leonard Cohen benennt offen die Brüche im Leben. Und er beschreibt in seinem Song „Anthem“ (dt. „Hymne“) mit einem poetischen Bild, welche Chance er darin sieht: „There is a crack, a crack in everything. That’s how the light gets in.” (dt.: „Da ist ein Riss, ein Riss in allem. Das ist der Spalt, durch den das Licht einfällt.“)./


Ich wünsche uns allen viel Mut und Kraft – und das einfallende, göttliche Licht – in dieser Zeit des Umbruchs!


Ihre und eure Pastorin Dagmar Rosenberg