Gründungsfest der Nordkirche
Pfingstsonntag war dafür der richtige Tag. Trübe begann er, aber mit der Verheißung, strahlend schön zu werden. In Ratzeburg ergatterten wir vor dem Rathaus einen Sitzplatz. Genauer gesagt: wir konnten eine der letzten Bänke ergattern. Die Stadt war erfüllt von fröhlichen Leuten, darunter viele junge- aber doch überwiegend ältere. Eine große Blaskapelle stimmte uns ein. Angeblich sind 600 Plätze für den Gottesdienst im Dom verlost worden. Daran glaubte hier niemand. Alle Menschen sind gleich, aber manche sind ein wenig gleicher als andere. Dafür wurde hier sehr kräftig mitgesungen zu der Übertragung aus dem Dom- seltsamerweise ein wenig schneller als im Dom
selbst. Das Kirchenvolk macht, was es will. Und der Geist weht auch dann, wenn man ihn nicht sogleich erkennt. Die Vortragenden beschrieben den langen schmerzhaften Weg zu der Fusion der Nordelbischen Kirche in Hamburg und Schleswig- Holstein, der Mecklenburgischen Landeskirche und der Pommerschen Evangelischen Kirche. Eine Liebesheirat ist das nicht, erst recht nicht, weil sie dem einfachen Kirchenvolk nicht überzeugend vermittelt wurde.
Die mitgliederschwachen Kirchen in Mecklenburg und Vorpommern können nur weiterexistieren mit der Hilfe der großen Landeskirchen in Hamburg und Schleswig-Holstein. Diese werden 4 % ihres Jahresetats abgeben zu ihrer Unterstützung. Das ist nicht leicht. Und eine gute Vorbereitung auf den Rückgang eigener Einkünfte und Mitgliederzahlen. Solidarität und Teilen
gehören zur Christenheit – machen sie aus. Ein alter Satz: „ nie ging es mir so gut, als es mir so schlecht ging“. Ganz nebenbei: diese Landschaften im Osten gehören ab jetzt mehr zu uns, als bisher. Wir werden sie mehr bereisen und uns dort heimisch fühlen in der spirituellen Ausstrahlung der Dörfer und Kirchen.
Und in ihrer Ruhe zu dem zurückfinden, was uns wichtig ist. Herr Gauck belohnte uns mit einer ebenso persönlichen wie klaren Rede, die eine Brücke schlug zwischen Ost und West. Er begann mit der Feststellung seiner Rollen: er sei zwar hier als Bundespräsident, in ihm wirke allerdings nach die 20-jährige Tätigkeit als Pastor in Mecklenburg, die ihn ein Leben in besonderem Ernst und Bedrohung habe führen lassen. So sei es dort jedermann ergangen, der im Leben eine klare Stellung eingenommen habe. Es habe lange Phasen unterschiedlicher Entwicklung gegeben. Damit meinte er die gegenseitige Entfremdung über die 40 Jahre der deutschen Teilung hinweg. Und 40 Jahre – also die Spanne von zwei Generationen – seien nötig, um aus dem Status der geistigen Abhängigkeit in den Status eines freien Menschen zu kommen. Er
erinnerte an Israels Auszug aus Ägypten: der Mensch ändert sich eben nur im Verlauf von Jahrzehnten. Später wurden drei bunte Segel durch den Dom nach vorn getragen. Sie symbolisierten die Segel eines großen (Kirchen-)Schiffes, das mit ihrer Hilfe durch die Welt gleitet. Nach dem Gottesdienst saß man zu Tausenden an langen Tischen bei Brötchen, Käse und Wurst, unter ihnen der Bundespräsident. Es war zu spüren: Etwas Neues hat begonnen. Und Mecklenburg und Vorpommern werden zu uns gehören und vertraut sein wie
irgendein Teil Norddeutschlands direkt nebenan. Das Wehen des Geistes war zu spüren.
Dr. Kurt Schröder