„Unter jedem Dach ein…“ oder „die Kirche im Dorf lassen“
Spätestens seit dem Artikel in der Hamburger Morgenpost vom 8. Juni 2015 und dem folgenden „Interview“ mit Propst Claussen im Hamburger Abendblatt vom 12. Juni 2015 ist es in der Öffentlichkeit und damit auch in den Gemeinden angekommen, dass der Kirchenkreis Hamburg-Ost sich mit der zukünftigen Struktur unserer Kirche befasst. Im Hintergrund stehen dabei Hochrechnungen und Statistiken der zukünftigen Situation, der demographische- sowie der Strukturwandel. Und tatsächlich sind diese Veränderungen spürbar. Und auch die Kirche muss damit verantwortungsvoll umgehen.
Dass das gar nicht so einfach ist, haben wir als Gemeinden schon beim letzten großen Kirchensteuerrückgang, so um das Jahr 2003 herum, erlebt. Es wurde vieles angedacht und versucht. Profilbildung, Regionalisierung, Fusion, Kirchenschließungen gar, Verkauf und Abriss hatte es gegeben. Und letztlich ist der große fusionierte Kirchenkreis Hamburg-Ost auch eine Folge dieser Entwicklung. Die einschneidendsten Maßnahmen hatte es allerdings im Personalbereich gegeben. Arbeitsbereiche wurden reduziert oder aufgegeben. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wurden entlassen. Manche der damaligen Entscheidungen sind heute aufgrund geänderter Rahmenbedingungen überholt. Vieles muss heute ehrenamtlich geleistet werden. Nicht jeder dieser Versuche ist geglückt. Manches war unverbunden entschieden worden – ohne den Blick auf das Ganze zu wagen.
Das soll jetzt anders sein! Alle Gebäude kommen in den Fokus und damit auch die Gemeinden. Es gibt mittlerweile sogenannte Gebäudesteckbriefe und Einschätzungen von Kosten und Nutzen. Manch „Ampel“ auf diesen Papieren steht auf Rot! Das heißt, die Kosten für ein Gebäude stehen in keiner guten Relation zum Nutzen. Und dass Gebäude Geld kosten, weiß jeder Mensch, der selbst eins besitzt. An einem Gebäude gibt es immer etwas zu tun. Und manchmal ist man kaum fertig, da kann man schon wieder neu anfangen. Reparaturen, Erhaltung und Sanierung kosten Geld. Viel Geld. Und dieses Geld muss angespart werden. Ohne Rücklagen und Eigenkapital geht es nicht. Dafür gibt es bei uns die Regel, 1,3% des sogenannten Feuerkassenneubauwertes pro Jahr in die Rücklage eines Gebäudes zu legen. Allein diese notwendigen Rückstellungen übersteigen in manchen Gemeinden die jährlichen Kirchensteuermittel. So sind Defizite vorprogrammiert oder aber die Rücklagen werden nicht in der geforderten Höhe angelegt. Dann ist die Frage, wer bei einer notwendigen Baumaßnahme für die Kosten aufkommen soll.
Diese und viele Fragen mehr beschäftigen uns in diesem Gebäudeprozess. Wo soll Kirche zukünftig wie sein? Das ist die Frage des sogenannten „Standortnetzwerkplans“, der parallel zur Gebäudethematik diskutiert wird. Dafür gibt es angenomme Kriterien, die hier nur kurz skizziert werden können: a) 5000 Gemeindeglieder für einen Standort. b) Möglichst ganze Ensembles für einen Standort erhalten. c) Bewertung der Standorte nach Infrastruktur, Verkehrsanbindung, architektonischer Qualität, Funktion und Relevanz für die Stadt oder den Ort. Das sind einige der Entscheidungspunkte, die zu einer Bewertung eines Standortes samt seiner Gebäude führen. Für uns als Gemeinden in den Vier- und Marschlanden sind diese Kriterien so nicht unbedingt plausibel. Sie scheinen doch sehr aus der städtischen Wahrnehmung von Kirche und Gemeinden zu kommen. Aber es gibt sie eben, die ländlichen Gebiete. Die langen Deichstraßen, die großen Liegenschaften mit Gartenbau und Landwirtschaft. Die wenig besiedelten Dörfer. Die altgewachsene Struktur mit einem ganz eigenen Bezug zur Dorfkirche, die auch heute noch in das Leben vor Ort einbezogen ist. Der Gang zum Friedhof, die Wertschätzung der Arbeit und Lebensleistung der vorhergehenden Generationen. Die Liebe und das Engagement für diese Kirchen und Gebäude. Das Wissen um die Notwendigkeit des „kirchlichen“ Lebens und der Begleitung im je eigenen Leben!
Darin sind wir uns in den Vier- und Marschlanden einig: Das darf und soll nicht zur Disposition stehen. Die Kirche soll im Dorf – besser: die Kirchen in den Dörfern – bleiben. Und das mit gottesdienstlichem Leben: Mit Taufen, Konfirmationen, Trauungen, Beerdigungen und auch der Feier am Sonntag. Für uns ist das nicht Klientel-Kirchturmpolitik,W sondern die Verantwortung für die uns anvertraute und über Generationen gewachsene Beziehung in den Dörfern mit ihren Kirchen. Das bedeutet nun aber nicht, dass wir uns der Verantwortung für die gegenwärtige Lage entziehen wollen. Nein, das nicht. Wir wollen aber sehr wohl daraufhin weisen, dass der Kirchenkreis Hamburg-Ost nicht nur aus städtischem Lebensraum besteht, sondern auch ländliche Gebiete umfasst, die eine andere Struktur haben und auf die die Kriterien für einen Standortnetzwerkplan nicht unbedingt passend sind. Damit wird die Frage nach der Finanzierbarkeit von Gebäuden nicht leichter. Aber auch dieser Aufgabe werden wir uns stellen und unsere Gedanken und Vorschlägen den aktuellen Diskussionsprozess hineintragen.
Pastor Michael Ostendorf