Neuer Gemeindebrief mit Grußwort von Pastorin Eva Langner

veröffentlicht am 1. März 2024

der neue Gemeindebrief UNS KIRCH für die Monate März, April und Mai 2024 ist erschienen Nachstehend das darin enthaltene Grußwort von Pastorin Eva Langner:

Liebe Gemeinde,

das Jahr ist erst zwei Monate jung, da ist schon viel geschehen. Die Ereignisse können schon jetzt einen kleinen Jahresrückblick füllen. Ein Paukenschlag folgte auf den nächsten. Die Natur wartete mit Schneegestöber und Sturmflut auf, wir Menschen mit Bahn- und Bauern-Streik und Demonstrationen gegen rechts. Unter dem Motto „Nie wieder ist jetzt!“ standen hunderttausende Menschen auf für eine freiheitliche, weltoffene, demokratische Gesellschaft. Am stärksten trafen uns, die wir der Kirche verbunden sind, aber die Ergebnisse der ForuM-Studie: der Forschung zur Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt und anderen Missbrauchsformen in der Evangelischen Kirche und Diakonie Deutschland.

Der Januar war noch nicht vorbei, und schon war nichts mehr, wie es einmal (oder muss man sagen: nie?) war. Geahnt haben wir es alle, dass auch in unserer Institution Schlimmes geschehen ist – aber in welchem Ausmaß zeigen uns erst die Darstellungen und Zahlen der Studie. Zahlen – die noch weit höher sein dürften, bedenkt man die nicht erfasste Dunkelziffer.

„Die Zahlen sind nur die Spitze der Spitze des Eisbergs.“ Martin Wazlawik, Koordinator der ForuM-Studie.

Zahlen – hinter jeder einzelnen steht ein Menschenleben, das unwiderruflich beschädigt wurde. Ihre Würde und ihre Grenzen wurden missachtet durch Menschen, denen sie Vertrauen entgegengebracht haben. Ein Vertrauenssvorschuss, den Kirche als Schutzraum genießt – aber gerade diese Schutzräume, so sehen wir es nun sehr deutlich, sind auch anfällig für Missbrauch. Sie sind in ihren Strukturen auch Schutzräume für Täter gewesen und sind es vermutlich noch.

Als Pastorin der evangelischen Kirche, bin ich tief bestürzt über jeden einzelnen Menschen, dem in unserer Institution sexuelle Gewalt, Grenzüberschreitung und Missbrauch widerfahren ist. Es tut mir unfassbar leid, dass so etwas möglich war und ist.

Es ist gut, dass es in der Nordkirche bereits seit 10 Jahren Präventions- und Interventionsarbeit gibt. Wir sind also auf dem Weg, aber es gibt noch einiges zu tun.

Viel wurde in den vergangenen Tagen und Wochen gesagt. Das ist wichtig und richtig. Wir dürfen nicht schweigen. Auch richtig und vermutlich noch wichtiger ist, dass wir den Betroffenen zuhören. Es geht nicht um uns, sondern darum ihnen endlich Gehör zu verschaffen, ihr Erlebtes und ihre Bedürfnisse anzuerkennen.

„Wenn sich Betroffene sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche an ihre Landeskirchen wenden, dann machen Sie oft ganz, ganz negative Erfahrungen. (…) Häufig wird ihnen Seelsorge angeboten. Viele wollen das aber nicht. Sie wollen Aufarbeitung, sie wollen Klarheit. Sie wollen das hingeguckt wird, das wirklich geguckt wird, was ist da passiert.“ Katharina Kracht, Betroffene und Aktivistin der unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs.

Solche Erfahrungen zeigen: Die Institution Kirche hat einen langen Weg vor sich. Das wird auch in den Worten von Bischöfin und amtierender Ratsvorsitzenden der EKD, Kirsten Fehrs, deutlich: „Wir übernehmen als Institution Verantwortung für die Gewalttaten, die von Mitarbeitenden und Ehrenamtlichen unserer Institution begangen wurden. Dazu gehört es als erstes, klar zu sagen: Wir haben uns auch als Institution an unzählig vielen Menschen schuldig gemacht. Und ich kann Sie, die Sie so verletzt wurden, nur von ganzem Herzen um Entschuldigung bitten. Und zugleich sage ich: diese Bitte um Entschuldigung kann nicht unverbunden stehen. Sie ist eine Verpflichtung. Sie kann nur glaubwürdig sein, wenn wir dann auch handeln und mit Entschlossenheit weitere Veränderungsmaßnahmen auf den Weg bringen, die greifen. Heißt: Die neben all den Handlungsleitfäden und Präventionskonzepten, die es in den Landeskirchen längst gibt, auch eine Haltungs- und Kulturänderung weiter voranbringen. Denn die braucht es: eine Haltung, die sensibel und aufmerksam die Sichtweise und Forderungen, auch die Wut betroffener Menschen achtet. Es geht nicht um abarbeiten, es geht um aufarbeiten. Und um die angemessene Anerkennung des erlittenen Unrechts. Das ist wohlgemerkt eine Verantwortung und Pflicht, die niemals aufhört. (…) Nicht die Betroffenen, wir als Institution müssen selbst Unrecht und Missstände ansprechen, angehen, aktiv aufarbeiten.“ Weitere Aufarbeitung wird und muss folgen und gleichzeitig müssen wir überlegen, wie unsere Kirche das sein kann, wovon ich und viele andere überzeugt sind, dass sie es sein muss: Ein sicherer Ort. „Faith spaces must be safe spaces“: Glaubensräume müssen sichere Räume sein, gerade für Menschen die Unrecht, Diskriminierung und Marginalisierung erfahren haben. Wo Menschen sich anvertrauen, müssen sie gehört und geschützt, muss ihnen geglaubt werden. „Was Worte hat, wird wahr, tut weh und … lässt sich verändern.“

Christiane Lange aus der Betroffenenvertretung im Beteiligungsforum. Und verändern muss sich viel. Eine starke Mahnung, auch in diesem Zusammenhang, ist uns die Jahreslosung für 2024: „Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.“ 1. Korinther 16,14

Es geschehe in der Liebe, die nicht kleinredet, nicht schweigt, nicht mundtot macht. In der Liebe, die nicht verletzt, sondern Grenzen respektiert. In einer Liebe, die nicht vor Angst, Schuld und Scham zurückweicht. Es geschehe in einer Liebe, die hinguckt, wo andere wegsehen, die Wunden anguckt, aushält, verarzten hilft. Eine Liebe die Worte findet und die Wahrheit aushält. Eine Liebe die Veränderung wirkt. Behalten wir das im Herzen!

Es grüßt Sie herzlich,
Ihre Pastorin Eva Langner